Social Media Postfaktisches Zeitalter
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- 5. Januar 2022
- Ingo Treuner
Denken wir uns, dass das Schachspiel nicht als Brettspiel erfunden worden wäre, sondern als Spiel, das mit Ziffern und Buchstaben auf Papier zu spielen sei und so, dass sich niemand dabei ein Quadrat mit 64 Feldern vorgestellt hätte. Man spielt also ohne eine faktenbindende Grundlage, sondern auf einer willkürlich veranlassten Verabredung oder bestenfalls Satzung.
Dabei ist es klar, dass diese neue Illustration von Spielregel nur ein schwer übersehbarer Symbolismus wäre, welcher, im Gegensatz zum Brettspiel kaum noch zu durchschauen wäre. Symbole sind, als Ideenträger nichts weiter als bekannte Zeichen mit je zugewiesenem Funktionshintergrund, wie z.B. Fahne usw. Zahlen und Ziffern, das Alphabet, Worte und Begriffe; alles nichts weiter als bekannte Symbole.
Vergleiche man darüber nun viele Beiträge über unsere heutige Welt und Politik, welche ebenfalls nur symbolhaft artikulieren und damit sich nur hypothetisch darstellen können. Denn da alle verfertigten Äußerungen, ob in oder auf Social-Media oder in allen anderen informativen Medien privat abgesonderte Meinungen sind, sind wegen eigenfehlender persönlicher Wahrhaftigkeit ursächlichen Zeugnisses an deren Inhalt und Zustandekommen ̶ geschätzt 99,9999… % ̶ nicht an der Tatsächlichkeit des beschriebenen Ereignisses dabei gewesen. Echte Evidenz existiert also nur in bleibendem Mini-Mikrorest. Dieser ist, für Deutsche mit rd. 83 Mio. Einwohnern: 83×10 hoch 6 x 10 hoch minus 10 hoch 6 = also verbleibend rd. 83 Menschen. Meiner beispielhaften Setzung folgend, könnte man diesen 83 Personen einen Wahrheits- und Wissensgehalt beim Verfassen ihres Textes echte Faktenlage zusprechen. Alle anderen Deutschlands üben sich zur gleichen Sache in Bild, Ton oder Text lediglich am reinen Symbolismus ab und glauben damit, etwas Wesentliches zum Weltpolit-Spiel oder gesellschaftlich, in welcher Mitteilungsform auch immer, beizutragen. Bei diesem Markt lediglich von Meinungen ist nur bedauerlich, dass die ständigen Wiederholungen in den Social-Medien zur gleichen Sache, wenn u. a. auch mit ähnlichen oder anderen Begriffen, sich zu einer Scheinwahrheit manifestieren. Der anfangs zu Corona-Beginn greifende Toilettenpapier-Symbolismus ist prägendes Beispiel dafür. Mag diese Secondhand-Geister zumeist nur Selbstdarstellungswünsche treiben, sind diese Absonderungen als gemeinschaftlich gesellschaftlich-kultureller Prozess dennoch nicht bedeutungslos, denn deren Inhalt wird nachahmend subversiv breitenwirksam. Jeder Follower fühlt sich gehalten, seinen Kommentar hinzuzufügen und eigentlicher faktengeprägter Wahrheitswert verliert ursprüngliche Form und Inhalt.
Denn durch die Menge und Masse des, auf den vielerlei sozialen Plattformen zum gleichen Thema Abgesonderten, moderiert sich tatsächlich eine gesellschaftsprägende Substanz. Es ist wie in Homöopathie und Pharmazie: Nur die Menge wirkt das Gift ̶ aber potenziert sich zu einer Kraft, welche sich zur gesellschaftspolitisch bedeutsam wirkenden Symbolik schafft, obwohl nur eine kleine zeugnisliefernde Minderheit um ursächliche Fakten authentisch wisse; sieht man von Naturereignissen und Katastrophen einmal ab. Das ist unsere neue „kulturelle“ Qualität und darum nennt man unsere Moderne die Postfaktische Zeit.
Seit die Aufklärung, die im antiken Griechenland begann und ihre europäische Renaissance im späten 15. Jhd. fand, hat sie den Menschen aus dem Sumpf von Adel und Klerus befreit und hat damit erfolgreich um das Individualitätsbewusstsein des Einzelnen gerungen. Ein jeder ist sich seines Eigenwertes höchst bewusst ̶ Integrität und das Besondere. Doch wie wissenschaftliches Arbeiten das Besondere, das Faktum, aus dem Allgemeinen induziert, sind die Identitären nun das Faktum, welches aber ohne gründliche Deduktion aus der Vielheit keine Fakten liefere, bzw. liefern kann. Also springt man auf allgemeingängig gut klingende Worthülsen auf und füllt sie weiterhin unter eigener Beteiligung. Wir sind beim pluralistischen Geraffel.
Echte Fakten werden nicht mehr gebraucht! Dies ist zu bedauern! Jeder hat das Recht auf eigene Meinung, aber nicht auf eigene Fakten, denn es gibt keine alternativen Fakten! Fakten sind per Definition Tatsachenwahrheiten!!!